Die Europäische Zentralbank greift zu drastischen Mitteln: Sie beschließt Milliardenkredite und einen Strafzins für Banken. Was bedeuten die Entscheidungen der EZB für Geldanleger?  Wir haben Antworten auf die wichtigsten Fragen zusammengestellt.

 Was ist der Grund für die Entscheidung?

Um die Krise in Europa endlich zu bewältigen, begnügt Mario Draghi sich nicht mit einem kleinen Schritt in der Zinspolitik. Denn seine schärfste Waffe ist längst stumpf. Als der Chef der Europäischen Zentralbank  am vergangenen Donnerstag in Frankfurt vor die Presse tritt, hat er ein milliardenschweres Kreditpaket mitgebracht. Es soll dem Mittelstand in den Südstaaten Erleichterungen verschaffen.

Was genau hat die EZB entschieden?

Der EZB-Rat senkte den Leitzins von 0,25 Prozent auf das Rekordtief von 0,15Prozent. Er ist das wichtigste Instrument einer Notenbank, um die Inflation zu steuern. Steigen die Preise zu langsam oder fallen sogar, macht die Notenbank das Geld billiger und stärkt damit die Konjunktur – so wie es jetzt die EZB getan hat. Da der Spielraum für Zinssenkungen weitgehend ausgeschöpft ist, pumpt Draghi zudem billiges Geld in die Banken.  400 Milliarden Euro stellen die Währungshüter bereit, damit die Institute Kredite an Unternehmen vergeben, vor allem in Südeuropa.

Schon einmal hat die EZB Milliardensummen in das Finanzsystem geleitet, der Wirtschaft hat es nicht geholfen. Diesmal sind die Notenbankkredite zweckgebunden. Das ist neu.

Erstmals in der Geschichte der EZB müssen Banken für ihre Guthaben bei den Währungshütern Negativzinsen zahlen. Draghi verlangt von den Banken künftig einen Strafzins, wenn sie bei der Notenbank Geld parken. Dafür wird der Einlagenzins erstmals unter die Nulllinie auf minus 0,10Prozent reduziert.

 

Was bedeutet der Negativzins für die Banken?

Europas Banken horten 150 Milliarden Euro auf dem Konto der EZB. Sie parken dieses Geld dort über Nacht, weil sie anderen Banken noch immer nicht trauen. Früher haben sich die Banken intern Gelder geliehen. Die Sicherheit der EZB war ihnen schon bisher viel wert: Die Kreditinstitute verzichten auf Rendite, der Einlagenzins liegt schon lange bei null Prozent. Nun müssen die Banken sogar einen Strafzins zahlen, wenn sie das Geld dort deponieren möchten.

Wie haben die Märkte reagiert?

Der Euro fiel auf ein Vier-Monats-Tief von 1,35 Dollar. Dagegen sprang der Dax erstmals über die historische Marke von 10 000Punkten. Auch der europäische Leitindex Euro-Stoxx-50 legte kräftig zu und notierte auf dem höchsten Stand seit knapp sechs Jahren.

Dass trotz des Dax-Rekords kaum jemand in Feierlaune ist, hat einen Grund: Die Anleger wissen, dass viel Geld nur deshalb in die Aktienmärkte fließt, weil die Notenbanken ihre Zinsen niedrig halten. Sie pumpen zudem Liquidität in den Markt, geben billiges Geld an die Geschäftsbanken, doch ein Großteil dieser Mittel wird von den Instituten gehortet oder eben in Aktien, Immobilien und auch Staatsanleihen investiert. Die überschüssige Liquidität treibt so die Kurse weiter nach oben.

Wer sich aktuell am Aktienmarkt engagiert, macht das „nicht mit der Überzeugung, dass wir boomende Unternehmenszahlen haben und eine ganz tolle Wirtschaftslage, sondern vor allem aus der Not heraus, dass man bei kurzfristigen Anlagen kaum Zinsen bekommt“, erläutert Goldberg. Und: „Es gibt die Befürchtung, dass die Hausse künstlich aufgeblasen ist und zu Ende geht, sobald die Zinsen wieder steigen.“ Zur Jahrtausendwende war das anders, jede runde Marke war den Börsianern eine Torte wert. Als der Dax binnen dreieinhalb Monaten die 6000-, 7000- und 8000-Punkte-Marke knackte und der Dow Jones seinem Allzeithoch entgegentrieb, war ganz Deutschland im Aktienfieber – die Börse war Gesprächsthema in den Büros und auf Partys gleichermaßen. Taxifahrer, Putzfrauen, selbst Studenten kauften Aktien, Dax-Papiere, aber auch solche von Unternehmen, die an Wachstumsbörsen wie dem Neuen Markt gehandelt wurden und deren Namen sie kaum aussprechen konnten.

 

Was bedeuten die Entscheidungen für Geldanleger?

Anleger müssen sich darauf einstellen, dass die Zinsen in Europa auf absehbare Zeit extrem gering bleiben – und vermutlich noch einmal sinken. Auf den Bank- oder Tagesgeldkonten werden sich die Ersparnisse kaum noch vermehren – im Gegenteil. Berücksichtigt man die Inflationsrate in Deutschland so machen viele Sparer schon heute real Verluste. Wer sich damit nicht abfinden will, der muss Alternativen zum klassischen Sparbuch oder zu Termineinlagen suchen. Denn wer auf Nummer sicher geht, verliert in Wahrheit bares Geld. Anleger, die ihr Geld mittel- und langfristig erhalten oder gar vermehren möchten, müssen sich nach Alternativen umsehen. Wir empfehlen weiterhin, breit in Sachwerte zu streuen.

 Enteignet die Notenbank die Sparer?

Ohne Zweifel schadet die Politik des billigen Geldes den Anlegern in Europa. Es ist aber auch nicht Aufgabe der Zentralbank, für auskömmliche Renditen von Sparguthaben zu sorgen. Ihr Mandat bezieht sich allein auf die Preisstabilität. Wenn sie erreicht wird, profitieren auch Verbraucher – ebenso wie es ihnen nützen würde, wenn die Finanzkrise endlich überwunden wäre. Je schneller, desto eher können die Renditen für sichere Staatsanleihen steigen.

 Was bedeuten die niedrigen Zinsen für die Lebensversicherungen?

Sinken die Zinsen, werfen Lebensversicherungspolicen weniger ab. Der Grund: Die Versicherer erzielen mit ihren Kapitalanlagen weniger Erträge, die sie den Kunden gutschreiben können, da sie 90 % der Asset in Anleihen angelegt haben. Deshalb fällt es den Unternehmen auch immer schwerer, die Garantien zu erwirtschaften, die sie ihren Kunden einst zugesagt haben – in guten Zeiten waren es vier Prozent.

 

Muss Europa eine Deflation fürchten?

 Nein. Noch steigen die Preise in der Euro-Zone, wenn auch nur wenig. Die Gefahr einer Deflation, also auf breiter Front sinkende Preise, sieht Mario Draghi nicht. Käme es so weit , dann bestünde ähnlich wie in Japan die Gefahr einer Abwärtsspirale: Erwarten Verbraucher und Unternehmen künftig sinkende Preise, halten sie sich mit Einkäufen und Investitionen zurück, das schadet der Wirtschaft. Japan steckt seit 20 Jahren in einer solchen Krise. In Europa gibt es dafür bislang aber keine Anzeichen. Allerdings ist die Inflationsrate in einzelnen Ländern wie Spanien oder Griechenland schon unter die Nulllinie gerutscht. Tatsächlich müssen die Preise in den klammen Euro-Staaten auch fallen, um die Wettbewerbsfähigkeit dieser Staaten zu verbessern. Das gelingt aber nur, wenn in den starken Ländern wie Deutschland die Preise gleichzeitig steigen.

 Wie wirksam sind die neuen Maßnahmen?

Weder die Leitzinssenkung noch die Strafgebühr für Banken werden die Konjunktur nachhaltig anschieben. Deshalb dürften sie auch keinen großen Einfluss auf die Verbraucherpreise haben. Ob die Banken nun ein groß angelegtes Kreditprogramm für schwache Unternehmen anbieten, darf bezweifelt werden. Zu sehr sind sie darauf Bedacht, ihre Bilanzen von neuen Risiken sauber zu halten. Die wahren Nutznießer der Minizinsen dürften die Finanzminister hoch verschuldeten Krisenländer sein.

 Führt das billige Geld zu Blasen?

Die EZB selbst warnt vor den Risiken einer Preisblase. So ist der Dax seit dem Herbst 2011 um mehr als 90 Prozent in die Höhe geschnellt. Auch die Flucht der Anleger in Immobilien treibt die Preise.

 

Was kann die EZB noch tun, wenn das alles nichts hilft?

Mario Draghi könnte tiefer in die Trickkiste der Geldpolitik greifen. Am Donnerstag fragte er: „Sind wir fertig?“ – und gab gleich selbst die Antwort: „Nein. Wir sind hier noch nicht fertig.“ Falls nötig lässt sich die Geldpolitik weiter lockern, indem die EZB beispielsweise Kreditpakete oder Staatsanleihen kauft.

 

 Warren Buffett brachte es auf den Punkt:

„Die Politik des billigen Geldes wird schwieriger enden als sie begonnen hat.“

Zum langfristigen Erfolg oder Misserfolg der Zentralbank, die trotz einer Flut billigen Geldes kaum Wachstum anfachen konnte, sagte EZB-Chefvolkswirt Peter Praet im vergangenen Jahr: „Die richtige Balance zwischen Inflation und Deflation zu halten ist nicht leicht. Nur die Geschichte wird urteilen können, ob wir die richtigen Entscheidungen getroffen haben.“